Musiker in Corona-Zeiten: „Da ist ein zentraler Teil des eigenen Lebens plötzlich verboten.“

Wir haben drei Bands gefragt, wie sie mit der Corona-Pandemie umgehen

 

Anfang 2020 war der Alltag für Bands, Clubbesitzer und Veranstalter wie aus dem Nichts vorbei. Auf der ganzen Welt. Lang geplante Touren und viel Leidenschaft, Lebensträume oder Karriere-Höhepunkte – begraben. Keine Band, kein Veranstalter konnte etwas dafür – frustrierend. Was macht das mit einer Band? Wir haben im Mai 2020 nachgefragt.

Moin in die Runde. Am alltäglichsten für Bands ist ja im Grunde die regelmäßige Probe. Wie ist das bei euch, probt ihr und wenn ja, wie?

 

Die Proben sind in der ersten Zeit völlig ins Wasser gefallen, aber nach und nach organisieren wir wieder Proben, um am Ball zu bleiben.

 

Wir haben uns tatsächlich seit über zwei Monaten nicht mehr gesehen und auch nicht geprobt. Mal sehen, ob wir die Songs überhaupt noch drauf haben. (lacht)

 

Wir mussten erst einmal zurückstecken und haben auch dementsprechend die Proben für mehrere Wochen ausfallen lassen, um den Verlauf abzuwarten und sicherzugehen, niemanden zu gefährden. Wir haben einmal seither geprobt, sind zu unterschiedlichen Zeiten gekommen und gegangen, haben zwei Meter Abstand gehalten.


Maurice ist die Stimme der Hardrocker von Rednight.

Jesse Garon ist Sloppy Joes Rockaholic (Vocals/Guitar).

Jannik ist bei Long Way Home Gitarrero und Sänger.


Haben sich Touren und Live-Pläne nur verschoben oder wurde einiges ganz gekippt?

Rednight: Wir hätten gerade im April und Mai sehr viele Gigs gespielt, die leider allesamt auf unbekannt verschoben wurden. Unsere Pläne für eine ganze Tour wurden damit schon frühzeitig gestoppt. Andererseits: Das hat uns zumindest nicht die ganze Arbeit einer Tourplanung im Nachhinein „zerstört“.

Sloppy Joes: Es wurde leider so ziemlich alles abgesagt, was wir live geplant haben. Ende letzten Jahres ist unser neues Album „Devil's Music“ rausgekommen und im Frühjahr diesen Jahres sollte es mit der Tour zum Album losgehen. Dann kam COVID-19 und das Ende aller Pläne. Erst war noch offen, ob wir zwei kleinere Festivals im Juli und August spielen können.

Long Way Home: Bei uns ist es genauso. Bisher wurden acht Konzerte auf Ende des Jahres und nächstes Jahr verschoben, zwei sind ersatzlos ausgefallen.

Könnt ihr euch denn mit digitalen Mitteln im Bandalltag helfen?

Rednight: Smartphones und Internet helfen ungemein.

Wenn man einige Jahre zurückdenkt, wäre das damals für die Live-Branche noch deutlich härter gewesen.

So können wir vor allem über die Sozialen Medien zumindest etwas weitermachen, Konzepte wie Streaming-Konzerte entwickeln und unsere Ressourcen dort stärker bündeln.

Sloppy Joes: Da uns jetzt durch die Tourabsage ‘ne Menge wichtiger Erlöse durch die Lappen gehen, tun wir viel dafür, unsere Fans digital bei Laune zu halten. Das läuft im Grunde darauf hinaus, einfach darauf aufmerksam zu machen, dass es uns noch gibt. Am 1. Mai haben wir eine neue Single (Means So Much) und das zugehörige Musikvideo veröffentlicht. Ebenfalls planen wir noch ein paar weitere Goodies mit Musikbezug. Es kribbelt aber schon in den Fingern. Es ist dauerhaft zermürbend für Musiker, nicht aufzutreten. Da ist ein zentraler Teil vom eigenen Leben, der plötzlich schlichtweg verboten ist. Wir begreifen aber natürlich, dass es jetzt Wichtigeres gibt, nämlich Menschenleben zu retten.

Long Way Home: Wir haben vor Kurzem ein komplettes Livekonzert gestreamt, aber man will den Zuschauern auch eine Show bieten – und das ist rein audiovisuell schwer über das Internet zu realisieren.

Was könnten Bands aus dieser Situation mitnehmen für die weitere Entwicklung, auch über Corona hinaus? Was ist vielleicht auch eine positive Erfahrung?

Rednight: Wir denken, dass einige Bands daraus lernen werden, sich mehr digital zu präsentieren. Wer schon vorher viel online präsent war, hat jetzt einen großen Aufschwung erlebt. Wer die Plattformen gemieden hat, muss jetzt viel nachholen. Wir haben uns tatsächlich auch etwas zu sehr zurückgelehnt, eigentlich müsste man jetzt digital massiv präsent sein. Wobei wir als Studenten nicht finanziell abhängig von unserer Musik sind.

Finanziell trifft es die am härtesten, die von der Musik leben. Deshalb haben wir uns gegen den Spenden-Button auf Spotify entschieden. Um es denen offenzulassen, die wirklich Spenden benötigen.

Sloppy Joes: Genau wie wir als Musikschaffende sehnen sich auch Musikhörer und Konzertgänger vermutlich nach Livemusik. Viele Leute werden erst jetzt begreifen, wie toll Konzerte sind. Häufig merkt man erst, wie großartig und bereichernd etwas ist, wenn es plötzlich fehlt.

In unserer Überflussgesellschaft kann diese Pandemie-Situation dadurch vielleicht eine neue Wertschätzung für Bands, Live-Clubs und Kunstschaffende zur Folge haben.

Long Way Home: Das stimmt. Wir haben die eine Probe, die wir hatten, viel mehr geschätzt, weil es keine Routine mehr war. Man hat durch die eingekehrte Ruhe auch mehr Zeit, neue Songs zu schreiben, zu optimieren, alles für die Zeit danach.

Was haltet ihr von digitalen, gestreamten Konzerten? Ist das was für euch?

Rednight: Im ersten Moment war das nichts für uns, da es für uns absolutes Neuland war, selbst zu recorden. Aber wir waren bei einem Aachener Online Festival dabei. Das ist auch als Quarantine-Session auf dem Rednight-YouTube-Channel zu sehen. Und wir waren Teil einer „DisTanz in den Mai“-Veranstaltung bei der wirklich sehr professionell ein Online-Event gestreamt wurde! Es war definitiv eines der Ereignisse, die man als Band nicht vergessen wird.

 

Sloppy Joes: Um nicht in Vergessenheit zu geraten, sind solche Streaming-Aktionen schon hilfreich. Für uns gehört zu einem Konzert aber immer Publikum dazu. Der Funken muss überspringen und gerade durch die Reaktionen einer Live-Crowd ist jedes Konzert unverwechselbar.

Streaming kann und darf echte Live-Situationen nicht ersetzen.

Speziell bei unseren Shows binden wir das Publikum gern mit in unsere Songs ein, lassen die Leute mitsingen, animieren zum Abfeiern und Stage-diven. Würde einer von uns bei einem Streaming-Konzert Stage-diven, wäre das vermutlich unsere letzte Show. (lacht)

 

Long Way Home: Wir haben es einmal gemacht. Es ist schon ein komisches Gefühl.

Aber Streaming-Konzerte sind auch eine Möglichkeit, Menschen zu erreichen, die vielleicht aufgrund der Entfernung ein Konzert verpassen würden.

Glaubt ihr, das Clubsterben intensiviert sich durch diese Pandemie? Gibt es einen Weg zurück in eine lebendige Clubkultur ?

Rednight: Die Szene wird sich ganz bestimmt verändern. Ob zum Guten oder Schlechten, das wollen wir nicht an die Wand malen, aber es wird bestimmt einigen Betreibern finanziell das Bein, wenn nicht gar das Genick brechen. Wir hoffen, dass so viele Clubs wie möglich diese Zeit überleben. Vielleicht kommt sogar ein großer Aufhol-Aufschwung danach.

Sloppy Joes: Für einige Clubs ist die Situation schon ohne Pandemie hart. Zu vielen haben wir persönlichen Kontakt. Speziell für die Liveclub-Betreiber, die neben den Fixkosten auch Personal führen müssen, also Verantwortung für Mitarbeiter haben, geht es um die Existenz. Glücklicherweise greift der Staat diesen Unternehmern bereits unter die Arme. Es haben sich auch viele Solidargemeinschaften gebildet, die mit Spenden unterstützen. Mit viel Glück können so viele Clubs überleben.

Letztendlich brauchen wir als Band die Clubs.

Long Way Home: Wie der Kollege von Sloppy Joes schon sagt: Clubsterben war schon vor Corona an der Tagesordnung. Clubs, die sich gerade über Wasser halten, müssen nun mit dem Todesstoß rechnen. Das macht uns als Band, die auch von Clubs und Locations abhängig ist, sehr traurig.



Wie können Musiker sich in dieser Zeit gegenseitig unterstützen?

Rednight: Man kann ganz tolle Aktionen bei Instagram oder YouTube zusammen planen. Einfach gemeinsam live gehen, sich unterhalten und den Fans Einblicke in den digitalen Band-Alltag gewähren.

Sloppy Joes: Erwähnenswert wäre auch eine "Rock against Corona"-Playlist auf Spotify, die in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz ins Leben gerufen wurde. In dieser Playlist sind neben uns auch diverse andere coole Bands vertreten. Der tolle Nebeneffekt ist, dass die Bands so ihre Fans "mischen", also gegenseitig auf sich aufmerksam machen. Das ist ein ähnlicher Effekt wie auf Festivals, wo man plötzlich eine Band zum ersten Mal sieht und von der Performance angefixt ist.

Long Way Home: Es finden wöchentlich Releases von befreundeten Bands statt, darauf machen wir aufmerksam. Auch ohne Pandemie.

Wie können Fans "ihre" Bands unterstützen, was würdet ihr den Musikliebhabern sagen?

Rednight: Jeder Fan macht das, was er für richtig hält. Wer aktiv dabei sein möchte, kann auch Ideen einbringen, zu Formaten oder Aktionen. Oder vielleicht auch einfach noch mal den Song vom letzten Jahr streamen. Wir werden jetzt glücklicherweise beim WDR2 im Radio vorgestellt und können dort durch ein Voting als die Band des Westens gewählt werden. Da bietet es sich an, einfach mal kurz einzuschalten und ‘nen Vote abzugeben. Alles in allem gilt: Wir sollten zusammenhalten und aufeinander achtgeben. Nicht nur jetzt, sondern immer.

Sloppy Joes: Fans können spenden. Wir haben dazu einen Paypal-Link auf unserer Homepage eingerichtet. Noch besser ist es aber, Band-Merch zu kaufen, also T-Shirts und die physischen Tonträger. Musik hat ihren Wert und dieser Wert in Form von finanzieller Unterstützung ist für Bands gerade besonders wichtig, um zu überleben.

Long Way Home: Merch ist immer noch die Haupteinnahmequelle als Band. Außerdem gibt es bei den Streams oftmals die Möglichkeit, einen Beitrag zu spenden. Sozusagen anstatt dem Eintritt an der Abendkasse.

Jungs, danke für das digitale Interview! Wir hoffen, dass es euch bald wieder auf einer echten Festival- oder Club-Bühne zu sehen gibt.

Wie sieht nun eigentlich der Club der Zukunft aus – vielleicht nach der Pandemie? Hier gibt's einen Rückblick auf die Clubverstärker-Konferenz 2019 .

Foto © The Hirsch Effekt