Die Songwriting Basics für Einsteiger

Catch me if you can! Ein Songwriter gibt Tipps, worauf ihr beim Songwriting achten solltet

Es gibt so Songs, die gehen einem einfach nicht mehr aus dem Kopf. Sei es, dass sie uns mit ihrem Sound genau im richtigen Moment abholen. Oder sie enthalten Texte, die für die Ewigkeit geschrieben sind. Nicht wenige Menschen verewigen ihre Lieblingszeilen als Tattoo oder drücken sich damit in ihrer Whatsapp-Info aus. Doch was braucht es, um „gute Songs“ zu schreiben? Und wie kommen Text, Melodie und Musik zusammen? Danach haben wir den in Berlin lebenden Sebastian Rätzel gefragt. Er ist Sänger der Band „The Baseballs“ und bereits seit vielen Jahren als Songwriter tätig. Als kreativer und vielseitiger Kopf schreibt er für nationale und internationale Acts sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch.

Zückt die Stifte, das ist wichtig fürs Songwriting

 

Wer ist Sebastian Rätzel?

Sebastian Rätzel begann seine Karriere 2008 als Sänger der Rock ʼnʼ Roll Band „The Baseballs“. Innerhalb kürzester Zeit wurde seine Band zu einer der erfolgreichsten deutschen Bands der letzten Jahre, auch im Ausland.
Ihr Debütalbum „Strike!“ (2009) verkaufte sich beispielsweise weltweit mehr als eine Million Mal, erreichte europaweit die Spitze der Charts und wurde mehrfach mit Gold und Platin ausgezeichnet. Mit ihren Nachfolgealben konnten sie den Erfolg fortsetzen.
Als Solokünstler veröffentlichte Sebastian 2019 sein erstes Soloalbum „Derselbe Himmel“. Und wurde als Songwriter für das Lied „Nur mit dir“, das er zusammen mit anderen für Helene Fischer geschrieben hat, ausgezeichnet.

„Songs müssen was mit Leuten machen und Emotionen auslösen. Sie können sogar polarisieren. Am schlimmsten ist es, wenn ihnen ein Lied gleichgültig ist.“

Songwriting Basics Teil 1: Songwriting als Handwerk – Text und Melodie Struktur geben

Ein Lied setzt sich oft aus den drei Bestandteilen Arrangement, Text und Melodie zusammen. Womit ihr anfangt, ist ganz individuell und unterschiedlich. Einige beginnen erst mit dem Text, andere mit der Musik und ergänzen dann die anderen Elemente.

Wenn Sebastian als Songwriter agiert, bekommt er meist von einem Produzenten ein erstes Arrangement vorgegeben. Dieses besteht aus Akkorden und Sounds, die eine Stimmung vermitteln. Das ist aber eher eine Rohversion, ein Inspirationsteppich. Dieser gibt die Stimmung und das Tempo des Songs vor und kann später noch verändert und an den Text angepasst werden.

Die Musik kann aber auch direkt von euch, ohne Produzenten, kommen: Jammt ihr im Proberaum, dann entsteht dort die Musik für euren Song.

Was zuerst – Text oder Melodie?

Auch hier kann die Vorgehensweise ganz unterschiedlich sein. Wenn Sebastian die produzierte Musik bekommt, überlegt er sich als Songwriter eine passende Melodie und griffige Lyrics. Beim Text sind die Betonung und der Klang besonders wichtig.

„Denkt Melodie und Text zusammen, denn die richtige Betonung der Silben ist wichtig. Es gibt gewisse Vokale, die die Melodie braucht. Dann wird der Text verständlicher und die verwendete Sprache wirkt natürlicher. Deswegen wachsen Melodie, Musik und Text immer miteinander und entstehen nicht unabhängig voneinander.“

Was früher der Texter war, ist heute der Topliner. Topliner schreiben die Texte und auch die Melodie. Das können sie sowohl einzeln für sich als auch in Teamarbeit mit anderen Toplinern und Produzenten zusammen machen.
Produzenten werden auch Bottomliner oder Tracker genannt. Sie liefern die Musik als Vorlage und können den Track später an den Text noch mal anpassen.

„Strophen sind wichtig und elementar. Aber das Augenmerk liegt auf dem Chorus. Das ist der Part, der bei den Hörern hängen bleibt.“

Chorus finden

Ihr tut euch mit dem Chorus schwer? Da hat Sebastian folgenden Ratschlag, wie ihr einen passenden Chorus findet. Überlegt: Welcher Chorus eines bereits vorhandenen (populären) Songs passt zu eurem Track? Findet dazu die Melodie und verändert die Rhythmik. Natürlich dürft ihr den Chorus eines anderen Acts nicht eins zu eins kopieren. Lasst euch nur inspirieren und macht es zu eurem Song durch eigene Akkorde und Melodien. Bestenfalls habt ihr dann einen Chorus, der im Ohr bleibt. Ein eingängiger Chorus ist von Vorteil, wenn ihr eure eigene Musik ins Radio bringen wollt und sie dadurch einen Wiedererkennungswert bekommt.

„Denkt dran: Wenn euch einer nach eurer Lieblingsstrophe fragt, dauert es mitunter länger, bis euch eine einfällt. Euren Lieblingschorus hingegen habt ihr bestimmt viel eher parat.“

Die magische erste Zeile

Neben dem Chorus ist auch der erste Satz des Songs entscheidend. Er holt die Hörer in den Song rein. Achtet außerdem darauf, dass der Song nicht zu lange braucht, bis er aufgeht. Beobachtet mal bei euch selbst:

  • Welche Songs sorgen dafür, dass die Leute dranbleiben, wenn sie euren Song hören?

  • Welche Songs werden auf eurem Spotify-Profil am meisten gestreamt?

  • Welche Songs von anderen Künstlern catchen euch?

„Songwriting ist auch ein Stück weit Handwerk. Was man über die Jahre lernt: schneller zu entscheiden, was eine gute oder eine schlechte Idee ist. Das spart dann super viel Zeit: Wenn man gleich den Weg geht, der sich lohnt und nicht erst mal drei Umwege nimmt.“

Songwriting Basics Teil 2: Uns fehlen die Worte – 5 Tipps zur Themenfindung und zu Kreativtechniken

Songwriting ist learning by doing. Das Beste: Man wird über die Jahre besser! Und ihr könnt es lernen. Natürlich erfordert Songwriting Kreativität, doch mit der Zeit eignet ihr euch einige Techniken an. Oft entsteht eine Idee aus dem Vibe der Musik. Falls euch allerdings mal kein Thema einfällt oder ihr komplett auf dem Schlauch steht, helfen Sebastians Tipps:

  1. Fantasiesprache: Schreibt euren Text in einer Fantasiesprache, wenn ihr nicht gleich die richtigen Worte findet. So merkt ihr, welche Betonung an welchen Stellen passt. Durch das Mitsingen der Melodie in der Fantasiesprache hört ihr auch, welche Vokale ihr in eurem Text benötigt.
  2. Wortassoziationen: Sucht euch ein bildliches Wort. Welche Assoziationen fallen euch ein? Welche Gerüche, Geräusche oder Erinnerungen verbindet ihr mit dem Wort? Daraus könnt ihr super eine Geschichte bauen. So ist auch Sebastians Song „Sommerregen“ innerhalb einer Stunde entstanden.
  3. Inspiration aus dem Alltag: Geht mit offenen Augen und Ohren durchs Leben. Worüber könnt ihr einen Song schreiben? Welche Situationen inspirieren? Notiert euch beispielsweise besondere Wörter, die euch im Alltag begegnen.
  4. Brainstorming: Dieser Tipp schließt an die vorherigen beiden an. Überlegt gemeinsam in der Band: Was sind Themen, die euch bewegen? Was berührt euch? Sind es Katzenbabys, der Weltschmerz oder irgendetwas dazwischen? Aus jedem Thema könnt ihr prinzipiell einen Song machen.
  5. Schreibblockade: Fangt einfach an. Beim Schreiben merkt ihr zudem oft, wo es musikalisch und inhaltlich hingeht. Lasst euch nicht durch „falsche“ oder komische Ideen ausbremsen. Weitere Tipps gegen eine Schreibblockade findet ihr auch hier.

„Haltet nicht krampfhaft an Ideen fest. Habt keine Angst, sie wieder zu verwerfen. Wenn ihr euch nach kurzer Zeit nicht mehr an sie erinnern könnt, war die Idee nicht stark genug.“

Songwriting Basics Teil 3: Sprachwahl und Mut zur Lücke – ein paar übergeordnete Gedanken

Vielleicht standet ihr schon vor der Frage, welche Sprache sich am besten eignet, wenn ihr mit einem Text eure Musik zum Leuchten bringen wollt. Oder ihr kennt die Herausforderung, alle Ideen in ein einziges Lied stopfen zu wollen. Analog zum Mixdown oder Abmischen von Musik ist beim Songwriting auch immer ein Punkt: Wann ist der Song so richtig fertig? Sebastian hat dazu die folgenden Gedanken.

Deutsch oder eine andere Sprache? Wichtiger ist eine einfache Sprache, beziehungsweise Alltagssprache

Das macht kaum einen Unterschied. Natürlich ist jeder in der Muttersprache sicherer und hat mehr Varianz. Schreibt am besten in der Sprache, in der ihr euch wohlfühlt.

Wohin mit all den Ideen? Im Zweifel: Kill your darlings

Traut euch ruhig, aus vorhandenen Ideen etwas Neues zu machen. Falls sie doch nicht passen, könnt ihr sie auch einfach wieder verwerfen. Wenn ihr euch unsicher seid: Holt früh Feedback ein. Manchmal erscheint eine Idee bombastisch, von außen wirkt sie aber langweilig oder unemotional. Stellt dabei persönliche Vorlieben zurück und fokussiert euch auf die Qualität des Songs.

„Wenn ich eine gute Melodie habe, dann werde ich mich auch am nächsten Tag noch daran erinnern, ohne dass ich sie aufgeschrieben habe.“

Sind wir mit dem Songwriting durch? Ein Song ist nie zu Ende!

Warum gibt es bei Messengern die Möglichkeit, Textnachrichten zurückzuziehen oder zu bearbeiten? Dasselbe gilt im Prinzip beim Songwriting: Ihr könnt ewig an einem Song herumdoktern, ihn über Monate weiterentwickeln und die Ideen dazu umwerfen, löschen oder verändern. Es liegt an euch, wie viel Zeit ihr euch gebt.
Sebastian versucht, aus Sessions herauszugehen, wenn 80 % des Songs stehen: Er möchte eine echte Emotion, eine catchige Melodie im Chorus und ein paar besondere Bilder im Text. Alles andere ist variabel. Wichtig ist ein funktionierender Song.

„Bevor der ganze Song steht, verliert man sich manchmal in Diskussionen um irgendwelche Kleinigkeiten. Deswegen möchte ich erst mal das Gerüst haben, einen Rohbau, und dann können wir den immer noch weiterentwickeln.“

Oft ändert Sebastian auch noch viel später etwas an seinen Songs. Sein Tipp: Lasst  einen fertigen Song ein paar Tage oder Wochen liegen und überarbeitet ihn dann noch einmal mit etwas Abstand.

„Selbst wenn man fertig ist, heißt das nicht, dass der Song in Stein gemeißelt ist. Ich habe für mein Soloalbum ‚Derselbe Himmel‘ ein ganzes Jahr später noch komplett neue Strophen geschrieben.“

Zu viele Köche verderben den Song? – Schreiben mit anderen Künstlern

Es gibt viele Möglichkeiten, einen Song gemeinsam zu schreiben. Sebastian nimmt beispielsweise gerne an Songwriting-Workshops oder Writing-Camps teil. Hier entstehen selten fertige Songs, aber es ist eine hervorragende Möglichkeit, andere Songwriter kennenzulernen und sich auszutauschen.

„Writing-Camps sind ein bisschen wie Songwriter-Speed-Dating! Ich bin da dann drei, vier Tage lang und schreibe jeden Tag mit anderen Leuten. Man merkt relativ schnell, mit wem man sich gut gegenseitig inspiriert.“

Mit anderen schreiben ist sehr inspirierend, wichtig ist aber, dass man auf Augenhöhe arbeitet. Es hilft, wenn man die anderen Leute schon länger kennt. Dann weiß man, was die Stärken und Schwächen der Teampartner sind. Teilt euch die Arbeit auf und habt keine Angst davor, euch selbst etwas zurückzunehmen. Oft hat eine andere Person viele gute Ideen und eure Aufgabe ist es dann, diese Ideen zu filtern.

„Ich schreibe seit mehr als 10 Jahren regelmäßig mit anderen zusammen. Die Faustregel: Wir fangen immer bei null an. Vertrauen und Respekt sind dabei sehr wichtig.“

Das Songwriting für andere Künstler bringt einige Unterschiede mit sich. Wichtig: Versucht die Vision eurer Kunden/Partner zu verstehen. Das sprichwörtliche „auf den Leib schneidern“ ist beim Songwriting tatsächlich Programm:

  • Die anderen verstehen: Was ist ihre Sprache, welche Bilder benutzen sie?
  • Wie komponiert man die Melodie, damit eine Stimme strahlen kann?
  • Wie kann man die Stärken zur Geltung kommen lassen und sie unterstreichen?

Beim gemeinsamen Schreiben kann niemand genau bemessen, was von wem kommt. Meistens einigen sich Songwriter auf den Equal Share: Gibt es 3 Topliner, bekommt jeder ein Drittel der Songrechte.
Um Rechtliches kümmert sich der Verlag des Topliners. Für die meisten Probleme findet sich schnell eine Lösung, denn gesichert ist das Urheberrecht eures Songs, sobald ihr ihn einmal herausgeschickt habt. Neben den beteiligten Zeugen habt ihr die Mail als Beweis.

 

Tipp: Wenn ihr keinen Verlag habt, solltet ihr Mitglied bei der GEMA werden und eure Songs über eine Werksanmeldung anmelden.

Songwriting per Videochat?

Durch die Pandemie haben sich Video-Sessions etabliert. Der Vorteil: Noch fokussierter arbeiten. Von Berlin nach New York? Kein Problem! Video-Sessions erleichtern die Arbeit mit Leuten, die nicht vor Ort sein können – auch über große Distanzen.

Tunnelblick only? Holt euch Feedback ein!

Bei der Produktion eines Songs sind viele Personen aus der Musikindustrie beteiligt. Und jeder hat seine eigene Meinung und künstlerische Vision. Beim Versuch, es allen recht zu machen, kommt es zu vielen Feedbackschleifen.
Wichtig ist: Ob bei euren Freunden, eurer Familie, beim Produzenten oder Musiklabel – fragt unbedingt nach Feedback! Am besten von Leuten, die ehrlich zu euch sind. Ohne Feedback kann ein Song nicht wachsen. Sebastians goldene Regel:

„Man kann den Song immer noch mehr verbessern und weiterentwickeln! Wenn ich selber den Song erstelle, bin ich zu tief in der Thematik und verliere das große Ganze aus den Augen. Es hilft oft ein Blick von jemandem, der das Lied das erste Mal hört – mit frischen Ohren.“

Gutes Feedback ist schön – konstruktive Kritik ist besser

Lasst euch nicht von negativem Feedback einschüchtern. Es hilft euch, euren Song zu verbessern. Letztendlich wollen ja alle Beteiligten ein gutes Lied veröffentlichen. Außerdem: Nur weil das Feedback da ist, müsst ihr es nicht eins zu eins umsetzen.

Denn Feedback bringt euch nur etwas, wenn ihr es gut deuten könnt. Nehmt das Feedback nicht wörtlich. Laien hören Musik anders. Stellt viele Fragen:

  • Was ist der Hintergrund der Aussage?
  • Wieso fühlt sich diese Stelle für die Person so an?
  • Was genau gefällt daran nicht?

Oft reichen kleine Veränderungen wie ein anderer Akkord oder ein anderes Wort aus, um eure Testhörer zufriedenzustellen.

Songlänge & Alben-Budgets – dahin entwickeln sich Musikstücke

Musikliebhaber müssen jetzt bitte einmal ganz tapfer sein. Lange Intros und Songs mit mehr als drei Minuten Länge gehören aktuell, zumindest im Mainstream, der Vergangenheit an. Das Abspielmedium bestimmt heutzutage die Songlänge. In Los Angeles wird häufig nur noch geschaut, welche die besten 30 Sekunden für TikTok sind. Und dann wird der Song drum herum geschrieben.

Dass sich Musikstücke den Hörgewohnheiten anpassen, ist völlig normal. Auch Streaming-Plattformen tragen ihren Teil dazu bei, dass es immer kürzere Songs gibt. Deshalb sterben gerade Album-Songs: Es werden eher 6 bis 8 Singles veröffentlicht und dann mit zwei neuen Stücken zu einem Album kombiniert. Das fühlt sich dann aber nach einer Compilation an.

Früher haben erfolgreiche Alben noch bis zu 5 andere Projekte mitfinanziert. Sprich: Mit den Verkaufszahlen eines etablierten Acts konnte eine Plattenfirma beispielsweise noch 5 CDs von Newcomern gegenfinanzieren oder das Geld in die Nachwuchsförderung stecken. Ein trauriger Nebeneffekt: Die Budgets für Alben-Produktionen schrumpfen ebenfalls. Aufwendige Orchester-Produktionen gehören somit immer mehr der Vergangenheit an.

Lasst euch von der Aussicht, wohin sich Songs entwickeln, nicht abschrecken! Am wichtigsten ist, dass ihr Songs schreibt, die euch gefallen und mit denen ihr zufrieden seid. Wenn euch dabei die Tipps dieses Artikels helfen, um so besser. Wir wünschen euch eine Menge kreativen Output und viel Spaß beim Songwriting.

Headergrafik: Adobe Stock: tirachard , Sebastian Rätzel (c)PourToiPhotographie