Der Plattenvertrag – Fluch und Segen

Wenn Wirklichkeit und Erwartung weit auseinander gehen – davon können Sloppy Joe’s ein Lied singen. Oder zwei.

„Träumen macht einfach keinen Sinn“ – sagt Jesse Garon, Sänger und Gitarrist der Hamburger Band Sloppy Joe’s, wenn es ums Thema Plattenvertrag geht. Denn dass du dadurch eine steile Karriere hinlegst, steinreich oder weltberühmt wirst, ist die ganz große Ausnahme. Wir haben mit Jesse über den vermeintlich heiligen Gral der Musikwelt gesprochen. Mittlerweile hat die Band ihren dritten Plattenvertrag in der Tasche. Auf dem Weg dahin hat sie viel erlebt und Erfahrungen gesammelt. Warum sich zwischendurch eine große Ernüchterung breit machte, erfährst du jetzt.

Plattenvertrag 1 – kann losgehen!

Nach einer erfolgreichen EP wollen Sloppy Joe’s 2016 ihr erstes eigenes Album „Eight Reasons To Rock“ veröffentlichen. Ihr Debüt ist fertig abgemischt und gemastert.

Sie versprechen sich von einem Plattenvertrag, dass eine Plattenfirma ihnen Schubkraft beim Generieren von Reichweite gibt. Dass sie hilft, Medienkontakte zu knüpfen, und dafür sorgt, dass die Band im Radio läuft und Musikmagazine und -Blogs über sie berichten. Und dass vielleicht langfristig ein paar Streams dabei rumkommen.

 
Jesse Garon, Sloppy Joe’s

„Mit diesem Album haben wir dann E-Mails versendet mit dem Link zu unserer Band-Biografie sowie Bild- und Videomaterial. Das haben wir an 25 bis 30 Labels geschickt. Rückmeldung haben wir von drei bekommen. Aber diese Rückmeldungen waren auch gut.“

Denn darunter ist ein Label aus Osnabrück, dessen A&R (Artist & Repertoire) sich gleich telefonisch bei Jesse meldet. Das Label hat ernsthaftes Interesse an einer Zusammenarbeit.

Der Mitarbeiter hat in die Songs reingehört. Er nimmt sich Zeit, erklärt die Vorteile des Labels. Beschreibt, wie alles zusammenhängt und abläuft. Und hat einen realistischen Blick auf den Status Quo der Musikbranche, da die CD-Verkäufe in den letzten Jahren eingebrochen sind.

Sloppy Joe’s bitten um einen Standard-Vertragsentwurf. Zum einen, damit sie wissen, was da drinsteht. Zum anderen, um ihn sich in Ruhe anzuschauen. Den Plattenvertragsentwurf erhalten sie noch am selben Tag. Inklusive fairer prozentualer Gewinnbeteiligung mit dem Label.

 
Jesse Garon, Sloppy Joe’s

„Das war sehr transparent, offen und auch sehr ehrlich in dem, was sie uns an Möglichkeiten angeboten haben. Deshalb haben wir dort entsprechend dieses Album rausgebracht, digital und physisch auf CD.“

Das Osnabrücker Label stellt bis zum Release im September einen Zeitplan auf. Es definiert ganz klar, bis wann Sachen wie beispielsweise das Artwork oder Pressematerialien vorliegen müssen oder wann Singles und Videos veröffentlicht werden. Dazu kümmert es sich um die Promotion und den Vertrieb der Band und ihrer Musik.

Ihr Debütalbum halten Sloppy Joe’s dann als physisches Produkt über einen Monat vor Release in den Händen. Und werden die ganze Zeit auf dem Laufenden gehalten, auf welchen Plattformen sie gespielt oder über sie berichtet wird.

„Es ist einfach ein gutes Gefühl zu wissen, der Plan steht und jetzt läuft alles.“              

Plattenvertrag 2 – Was zur Hölle passiert hier?

Nachdem es mit dem ersten Album gut gelaufen ist, sind Sloppy Joe’s hungrig. So erwarten sie 2019 mit Album Nummer 2 „Devil’s Music“ einen noch größeren Aufschlag.

Dafür wechseln sie zu einem Label aus Baden-Württemberg, das schon bei der ersten Platte Interesse an ihnen hatte. Das Label verspricht, die Band richtig gut zu vermarkten, sie unter anderem auf Soundtracks zu platzieren.

Damit treffen sie genau den Nerv der Hamburger. Zwar gibt es einige Stimmen, die von genau dieser Plattenfirma abraten, aber Sloppy Joe’s lassen sich nicht beirren.

Sie prüfen den Vertrag genau und lassen einige Klauseln entfernen, denn immerhin sind bereits namhafte Künstler bei dem Label unter Vertrag. Deshalb setzen sie alles auf eine Karte, unterschreiben diesmal einen Exklusivvertrag (womit sie viele Rechte abtreten) und hoffen, dass ihr Zweitlingswerk durch die Decke geht.

„Bei dem zweiten Vertrag ist so ziemlich alles schiefgelaufen, was schieflaufen kann.“

Und dann passiert das, was man keiner Band wünscht:

  • Weil die Plattenfirma den Vertrieb gewechselt hat, ist das Album zur Veröffentlichung nicht verfügbar. Es ist weder bestell- noch lieferbar.
  • Die Musikpromotion ist desaströs: Das Label stellt das Album Mitarbeitenden in Print, Online und Hörfunk nicht rechtzeitig zum Release bereit. Das heißt, dass Redakteurinnen und Redakteure darauf nicht zugreifen und Songs somit weder einsetzen noch spielen können.
  • Für den Digitalrelease der ersten Single verschicken die Baden-Württemberger das falsche Cover.
  • Und die Abrechnungen zu Albumverkäufen und Streaming sind fehlerhaft. Das merken Sloppy Joe’s, weil sie die Abrufzahlen mit denen ihrer eigenen Kanäle abgleichen.

 

Das Bittere daran: Die Band hat kaum Eingriffsmöglichkeiten. Sie können die Schieflage also kaum selbst geradebiegen. Zwar telefoniert Jesse unzählige Male hinter dem Label her. Das rechtfertigt sich allerdings immer wieder und sucht die Schuld bei externen Partnern. Es bügelt weder seine Fehler aus, noch arbeitet es an zügigen Lösungen beziehungsweise Entschädigungen oder Möglichkeiten zur Wiedergutmachung.

 
Jesse Garon, Sloppy Joe’s

„Im Großen und Ganzen war das ein echt übler Flop. Was mich bei dieser Geschichte so traurig gemacht hat: Diese Plattenfirma hat überhaupt keine kreative Arbeit geleistet. Denn wir haben ihnen bereits ein fertiges Album, Artwork, Pressetexte in deutsch und englisch, sowie highend produzierte Musikvideos übergeben. Es kam alles von uns, aber die haben noch nicht einmal in die Songs gehört, um zum Beispiel einzuschätzen, welche Nummer Single-Charakter hätte. Es war denen einfach scheißegal. Unser Geld haben sie gerne genommen. Aber sie haben das, was sie gemacht haben, einfach nur schlecht gemacht.“

Jesse bezeichnet die Arbeit des Labels als unprofessionell und ist enttäuscht, dass es seitens des Labels kein Entgegenkommen für seine eigenen Fehler gab. Immerhin gelingt es Sloppy Joe’s doch noch, ein paar Radio- und Fernsehauftritte aus eigener Kraft und während der Pandemie 2020 an Land zu ziehen.

5 Dinge, auf die ihr bei einem Plattenvertrag achten solltet

In der Regel beträgt die anfängliche Laufzeit eines Plattenvertrags ein Jahr. Auf diese einjährige Laufzeit folgen in einigen Verträgen jedoch mehrere Optionszeiträume. In diesen Zeiträumen steht es der Plattenfirma frei, euren Vertrag um weitere Zeiträume zu verlängern, falls die von euch produzierte Kunst gefällt. Schaut darauf, dass die Optionszeiträume wegfallen. So verhindert ihr, dass eine Plattenfirma euer Leben und eure kreative Arbeit für einen unangemessenen Zeitraum kontrolliert. Keine Knebelverträge!

Tantiemen können je nach eurem Bekanntheitsgrad und bisherigen Erfolg sehr unterschiedlich ausfallen. Das ist auch Teil der Risikokalkulation des Labels. Für neue Künstler mit geringem bis gar keinem Bekanntheitsgrad ist eine Tantiemenrate von 5 bis 8 Prozent typisch. Aufstrebende Künstler erhalten in der Regel zwischen 10 und 14 Prozent Tantiemen. Nach oben ist die Range offen. Lasst euch nicht von einer Plattenfirma davon überzeugen, dass 1 oder 2 Prozent Tantiemen der Standard sind. Manche Plattenfirmen locken ahnungslose Künstler mit relativ hohen Vorabprämien (statt Tantiemen), um ihnen ein erstes Erfolgsgefühl zu vermitteln.

Ohne eine Veröffentlichungszusage der Plattenfirma habt ihr keine Garantie, dass die Plattenfirma euer Album tatsächlich unter die Leute bringt. Eine typische Veröffentlichungszusage ist das Versprechen der Plattenfirma, dass sie mindestens ein Album während ihrer anfänglichen Vertragslaufzeit mit euch veröffentlicht. Wenn ihr eure Musik aufnehmt, an das Label weitergebt und das Label das Album nicht veröffentlicht, solltet ihr aus dem Vertrag aussteigen können.

Ohne ehrliche Kommunikation und detaillierte Aufzeichnungen führt die Beziehung zwischen Künstler und Label schnell zu Konflikten. Eine Audit-Klausel gibt dem Künstler die Möglichkeit, einen externen Prüfer zu beauftragen. Der geht die Bücher und Aufzeichnungen der Plattenfirma durch und stellt sicher, dass der Künstler erhält, worauf er laut Vertrag Anspruch hat. Oft muss der Künstler für diese Prüfung zwar zahlen. Viele Prüfungsklauseln sehen aber vor, dass die Plattenfirma die Kosten für die Prüfung übernimmt, wenn eine große Diskrepanz nachgewiesen wird.

Selbst wenn das Honorar angemessen ist, solltet ihr nach dem berühmten sprichwörtlichen Haken suchen. Bevor die Plattenfirma irgendwas zahlt, darf sie in der Regel einen Großteil ihrer Ausgaben durch sogenannte „Abzüge“ wieder hereinholen. Dazu zählen Aufnahmekosten, Videoproduktionskosten, Kosten für physische Kopien. Einige Plattenfirmen ziehen enorme Summen für Tantiemen ab, die so garantieren, dass ihr als Künstler kaum Geld bekommt. Achtet auf Abzüge wie z. B. den Abzug der Gehälter und Sozialleistungen der Plattenfirmeninhaber. Schaut auch nach Abzügen, die dem Label einen Blankoscheck ausstellen, wie z. B. unbegrenzte Abzüge für Reisen, Hotelaufenthalte, Autovermietung, Mahlzeiten und Bewirtung sowie andere Kosten, die ein Plattenlabel nutzen könnte, um euch um euer Geld zu bringen.

Plattenvertrag 3 – alles auf Anfang!

Für ihr drittes Album wechseln Sloppy Joe’s wieder zurück zu dem Osnabrücker Label vom Anfang. Sie freuen sich auf eine erneut gute Zusammenarbeit und die bereits bestehende Vertrauensbasis.

 
Jesse Garon, Sloppy Joe’s

„Die stehen zu dem, was sie sagen. Und sagen auch, wenn was nicht geht. Das ist das Wichtigste: dass man klare Grenzen zieht und auch eindeutig sagt, was nicht möglich ist. Das muss man als Künstler einfach wissen, weil Träumen einfach keinen Sinn macht. Damit schadet man sich eher selbst, wenn zu hoch gesteckte Ziele nicht erreichbar sind.“

Plattenvertrag – ja oder nein? Sloppy Joe’s Fazit

Jesses Fazit fällt nach der Erfahrung so aus, dass ein Plattenvertrag heutzutage nicht mehr das Nonplusultra ist. Für ihn ist wichtig, dass Künstler und Bands organisch wachsen und sich durch Konzerte, Newsletter und Social Media langsam Reichweite aufbauen.

 
Jesse Garon, Sloppy Joe’s

„Ich würde jedem empfehlen, eher einfach nach einer Vertriebsmöglichkeit zu gucken. Mehr als einen Musikverlag braucht man mittlerweile eigentlich fast auch nicht. Und ganz wichtig: die eigenen Songs bei der GEMA und GVL anmelden. Denn sobald ein Song live oder im Radio gespielt wird oder im Fernsehen läuft, verdient man so schon Geld mit seiner eigenen Musik.“