Die Sound-DNA von LENNA

Timo Hollmann, Live-Mischer von LENNA, erzählt aus der Praxis


Wie entsteht eigentlich der Sound einer Band, der Klangcharakter – nicht theoretisch, sondern in der Praxis zwischen Proberaum und Bühne? Gibt es einen (großen) Unterschied von Studio und Live? Wir haben den langjährigen Mischer der Bremer Pop-Rocker LENNA, Timo Hollmann, gefragt.

Moin Timo, sag doch mal kurz, wer du bist.

 

Ich bin Sound Engineer und betreibe die Harbor Inn Studios in Bremen. 1989 habe ich mit einer eigenen Band angefangen, Demos aufzunehmen, dann kamen erste Jobs in der Veranstaltungsindustrie. Das hat sich dann so entwickelt. Ich habe alle sich bietenden Gelegenheiten für Fort- und Weiterbildungen genutzt. Inzwischen war ich weltweit mit Bands auf Tour, als Live-Mischer oder als Tournee- und Produktionsleiter. Da hab ich mit Acts wie Donots, Mando Diao und eben auch LENNA gearbeitet.

Was machst du für LENNA?

Meist mische ich die Konzerte. Wir probieren aber auch hier im Studio einiges gemeinsam aus, was den Sound angeht. Ich nehme zum Teil die Proben von LENNA auch live auf oder höre zu, dann setzen wir uns gemeinsam hin und sprechen darüber.

Wie klingt LENNA?

An der Stimme hört man sofort, wo die Band herkommt und welche Band es ist. Das ist bei LENNA ein klarer Wiedererkennungseffekt. Poppig, energisch, gute Laune, wie ein sonniger Tag am Wasser. Der Sound entsteht natürlich zwischen Band und allen, die drum herum mischen und begleiten. Ich gebe meine Expertise dazu, weil ich vorher weiß, wie sich bestimmte Sounds und Plug-ins auswirken oder wie sich Frequenzen vielleicht beißen.

Wie aktiv berätst du die Band beim Sound?

Dadurch, dass ich zusätzlich für andere Bands und Musiker arbeite, in Bremen etwa ETA LUX, und viel mitbekomme, kann ich immer was beitragen. Das kann man dann schon bei der Probe besprechen, was gerade noch für interessante Elemente bei Tammo oder Alenna im Kopf schwirren. Neue Effekte vielleicht oder Samples, Soundelemente von anderen Bands und wie die am Kemper, Mikrofon und Keyboard umsetzbar sind. Letzten Endes liegt die Entscheidung bei der Band. Das sage ich immer: bloß nicht verbiegen für den Geschmack anderer.

Die Fans vor der Bühne merken, ob die Musiker auf der Bühne einen Song richtig abfeiern und voll dahinterstehen oder auch nicht.

Wie entsteht der Sound überhaupt?

Natürlich vor allem durch das Songwriting der Band, durch die Auswahl der Instrumente allgemein. Und dann gibt es klangliche Vorbilder, da kann die Band natürlich vor allem Vorschläge machen, wie das auch bei anderen Künstlern gemacht wird. Ich bringe dann die Erfahrungen mit, diesen Sound einfließen zu lassen.

Du begleitest die Band ja schon länger. Wie ist denn der Prozess, wenn LENNA neue Songs schreiben?

 

Die Musiker von LENNA schreiben die Songs ganz klassisch zu Hause und nehmen dort eine Demo auf. Die Demo wird am Rechner zusammengebaut, mit einem programmierten Schlagzeug, um erstmal einen Eindruck zu kriegen. Dann kommen sie irgendwann damit ins Studio. Erst im Anschluss kommen das echte Schlagzeug und echte Amps dazu. Heutzutage wird ja alles gelayert: Um den Attack von der cleanen E-Gitarre noch einmal ein wenig zu unterstützen, legen wir noch eine akustische Gitarre darunter. Von der akustischen Gitarre nehmen wir aber als Unterstützung zum Beispiel nur den hohen Anschlag als Charakter. Allerdings mische ich nicht die Releases für LENNA, das wird an andere Mischer abgegeben. Ich habe vor allem die Live-Perspektive. Häufig geht das in die Richtung: Was will ich hören, wie dominant soll das sein? Piano, Akustikgitarre, E-Gitarre? Was nehmen wir besonders laut im Track mit – den Downstroke von der akustischen Gitarre, die Stimme?

Was sind da so die Überlegungen, wenn du live mischst?

Wir überlegen gemeinsam, wie bestimmte Aufnahmen des Albums überhaupt live zu spielen sind, welche Backing-Tracks wir brauchen. Die Band hat sich jetzt ja erst mal verkleinert und sie sind nur noch zu dritt. Da überlegen wir dann gemeinsam, wie wir dem Sound mehr Fläche auf der Bühne geben.

Live einen guten Sound zu generieren ist das Schwierigere. Im Studio kannst du ja im Grunde machen, was du willst. Du kannst jede Spur optimieren. Live muss das Konzept in jedem Moment stimmen. Da gibt’s keine zweite Chance.

Kannst du das ausführen?

 

Im Studio haben wir viel mehr Möglichkeiten. Das heißt, da sind Keyboards, Pianos und mehrere Gitarren übereinandergelegt. Und dann guckt man: Was brauchen wir noch aus der Klaviatur der Effekte und Plug-ins, damit es nicht zu sehr nach Playback klingt, aber trotzdem noch den Song schön fett und voll klingen lässt? Das probieren wir manchmal im Studio, noch vor den Aufnahmen für neue Alben.

Sag mal ein Beispiel für Live-Einspieler, die wichtig sind.

Alenna, die Sängerin, singt und spielt Keys. Würde sie aber in einigen Songs durchgehend live Klavier spielen, würde sie in ihrer Rolle als Sängerin am Klavier festkleben, nicht nur stationär, sondern auch noch sitzend. Das nimmt dann sehr die Dynamik aus der Performance. Wir müssen mit der Band also genau vorher besprechen, wann das Klavier aus einem Loop kommt und wann Alenna stehend, laufend auf der Bühne frei singen kann, das Publikum mit einbeziehen kann. Trotzdem kann sie natürlich alles auch am Klavier spielen und dabei singen. Aber das ist nicht die beste Lösung.

Was live aus dem Backing Track kommt und was gespielt wird, ist immer eine Entscheidung der Band und eine harte Abwägung.

Wird deine Arbeit einfacher, wenn weniger Leute auf der Bühne stehen?

Ich glaube, das kommt darauf an, welchen Mischer du fragst. Viele Kollegen sagen, glaube ich, dass weniger Menschen auf der Bühne einfacher zu mischen sind. Weil’s weniger Kanäle sind. Klar, vom Arbeitsaufwand her ist es dann wohl eher weniger. Aber es ist nicht so spannend. Und ich finde es sogar schwerer.

Warum?

Weil eine Power-Pop-Band wie LENNA natürlich auch eine gewisse Präsenz haben muss. Ich persönlich mag ja lieber große Bands mit ganz vielen Kanälen. Ich bin da eher so ein Kreativer und versuche ein bisschen mitzumachen, auch zu gestalten. Wenn man weniger Menschen auf der Bühne hat, gibt’s weniger Möglichkeiten, aus der Vielfalt das letzte bisschen Potenzial herauszuholen. Deswegen bin ich ein Fan von großen Bands mit Gebläse, Chor und allem Gedöns. Also, es wird nicht einfacher dadurch, dass du weniger Kanäle hast, finde ich. Letztlich bin ich als FOH-Mischer auch dafür verantwortlich, dass alle einen tollen Abend haben und die Band so gut klingt, dass sie Shirts und anderen Merch verkauft.

Du sagst, du gestaltest gern: Wie tief oder wie detailreich geben denn die Bandmitglieder vor, was in den Sound eingeht?

 

Du hast als Mischer im besten Fall das vollste Vertrauen der Band. Weil die natürlich auch wissen, was ich früher alles gemacht habe, wo ich herkomme. Das sind so Sachen wie: „Tammo sagt, dass Part XYZ noch ein wenig leer oder blass klingt“, und dann überlege ich aus meiner Erfahrung, was da zu schrauben ist. Aber wie gesagt, dabei muss immer im Kopf bleiben: Die Band muss das abends auch umsetzen auf der Bühne. Heutzutage wird im Studio ja nicht einfach ein Klavier aufgenommen und fertig. Es werden drei Klaviere aufgenommen und übereinandergelegt. Jede Spur hat ihren eigenen Charakter, übereinander bilden sie dann einen besonders fetten, einzigartigen Sound.

Was ist für den Sound von LENNA besonders charakteristisch, worauf musst du achten, wenn du die Band live mischst?

Alennas Stimme ist schon was Besonderes, die ist sehr präsent, vor allem im oberen Bereich. Das muss man auf der Bühne ein wenig begleiten, oft mit einem Kompressor in den oberen Mitten. Der dämpft starke Obertöne und kontrolliert ein wenig den Pegel. Alenna kann ja wirklich singen, die bringt mit der Stimme einen sehr starken Pegel.

Bei manchen Sängerinnen musst du verstärken und mehr Breite herauskitzeln. Bei Alenna nicht, eher im Gegenteil, weil sie so einen großen Dynamikbereich hat.

Ein großer Dynamikbereich für eine Sängerin ist doch gut, oder?

Ja, natürlich. Aber die Band spielt ja live zum Beispiel lautere und leisere Songs. Es gibt lautere und leisere Instrumente. Das Publikum kann auch sehr laut sein, das ist ein Faktor, und es gibt weitere Nebengeräusche. Ich sitze dann da und muss das alles optimal arrangieren. Eine sehr dynamische Stimme braucht da einen aufmerksamen Mischer. Da kann man etwas mehr Kompressor nutzen als auf der Platte, dann ein wenig runterpegeln, um auch eine ruhigere Akustikgitarre zu begleiten.

Gibt es da noch weitere Baustellen, die du beim Sound berücksichtigen musst?

Nicht so richtig bei einzelnen Instrumenten, eher insgesamt. Bei den Bands, die noch nicht so viel Kohle machen und mit drei Sprintern unterwegs sind, ist halt auch die Tontechnik komplett aufs Reisen ausgelegt. Kemper-Amps, ein kleines Mischpult, In-Ear-Rack mit Presets, Mikrofone, Verkabelung. Das passt jetzt alles in einen Caddy und man kann losfahren. Da braucht es ein Gesamtkonzept, das auch in klein funktioniert.

Provokativ könnte man bei voreingestellten Presets im Mischpult und Kemper-Amps fragen: Was machst du eigentlich am FOH noch?

 

Also der wichtigste, offensichtliche Unterschied von Show zu Show ist ja die Location. Draußen, drinnen, kleiner Raum, große Halle, hohe Decke, niedrige Decke, nackte Wände, Vorhänge. Mein großer Vorteil als Mischer, der die Band kennt: Ich kenne eben auch die Songs. Ich weiß, wann welcher Part kommt, wo ein Backing Track ist, was aus dem Ableton kommt. LENNA proben ja hier auch, und ich lege mir das parallel auch noch mal ins Studio und in die Regie. Ich weiß auch am besten, wie der Soundcheck ablaufen muss. Dann hat jede Band auch eine Tagesform, vor allem Vocals und Backing Vocals. Die klingen jeden Tag anders und auch in jeder Location noch mal anders. Da muss man nachsteuern. Vielleicht noch ein Delay an der richtigen Stelle einbauen. Auf der Bühne können sich die einzelnen Bandmitglieder auch das In-Ear-Monitoring selbst leiser und lauter machen, aber nur im Notfall. Auch das steuere ich.

Was ist denn bei deiner Arbeit mit der Band der größte Unterschied zwischen indoor und outdoor?

Draußen hast du keine Restriktionen von irgendwelchen Wänden oder Decken. Klar, in Innenhöfen bei Stadtfesten mal, aber das ist selten. Da kämpfe ich also nicht gegen stehende Wellen. Das heißt, du kannst outdoor ein bisschen freier mischen. Indoor muss ich schauen, wo Reflektionen sind und wo ich wie gut gegensteuern kann. Und dann musst du dich als Mischer ja entscheiden: Was mach ich jetzt? Lasse ich das so, damit das Klangbild voll ist? Oder nehme ich die stehenden Wellen aus dem Klangbild raus? Aber dann fehlen eben Frequenzen. Welche Frequenzen kann ich also rausnehmen, ohne dass das Klangbild zerfällt?

Gibt es denn für den Sound auch musikalische Vorbilder?

Ja klar, aber eher nicht ganze Alben, sondern einzelne Elemente oder einzelne Songs, die Einflüsse reintragen. Das ist auch teilweise Hip-Hop oder etwas ganz anderes. Die Singer-Songwriterin Schmidt hat ein paar Elemente, die uns gut gefallen, oder Mine aus Mannheim. Das ist kein Power-Pop, aber es gibt Inspirationen. Viele Inspirationen von LENNA kommen von der Indie-Pop-Rock-Schiene.

Virtuelle Instrumente auf Platte hin oder her, das Publikum will es von der Bühne hören. Da lohnt es sich auch nicht, für das Recording teure Synthies, Plug-ins oder Keys zu kaufen.

Sind Effekte heute noch so teuer?

Naja, du musst halt überlegen, ob das ein Effekt ist, den du wirklich öfter nutzen willst. Bei kleinen Bands ist das schon eine Sache des Geldes. Einfach nur mal irgendwas kaufen, um es einmal auszuprobieren, das ist da eher nicht drin. Letztendlich nützt das nichts, wenn du ein Jahr lang alles in die Band investierst, Vollgas, und dann biste danach pleite. Es dauert ja auch, bis man wirklich richtige Gagen kriegt und große Konzerte spielen kann. Die Plattenfirmen geben auch nicht mehr so viel Geld aus, und wenn, dann haste gleich einen Knebelvertrag. LENNA macht noch alles selbst deswegen. Und das finde ich auch gut.

Wenn du sagst, dass du das gut findest: Würdest du nach deinen über 30 Jahren Erfahrung dazu raten, dass Bands lange unabhängig bleiben?

 

Früher war das mal das große Ziel aller Garagenbands: der Plattenvertrag. Diese Denke ist immer noch sehr verbreitet. Aber ein Vertrag bei einer Plattenfirma ist kein Garant für Erfolg. Nicht einmal für einen kleinen Erfolg.

Das vergessen junge Bands schnell. Es gibt ja kaum mehr CD-Verkäufe. Und das war es ja, wo eine Plattenfirma besonders unterstützt hat, früher: im Vertrieb. Deswegen wollen Plattenfirmen heute gerne den 360°-Deal, also auch Beteiligung an T-Shirt-Verkäufen und allem. Die Frage ist immer: Was bekommt eine Band von der Plattenfirma und was muss sie dafür liefern? Letztendlich haben auch kleinere Plattenfirmen nicht mehr so viel Geld, junge Bands vollumfänglich zu unterstützen. Dann kann man auch überlegen, ob man es selbst macht und die kompletten Einnahmen selbst mitnimmt.

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