Doordeal und Pay2Play: Wie viel ist Livemusik wert?

Und wie können Gagen für Musiker und Veranstalter gleichermaßen fair sein?


Für Konzertveranstalter ist im Zuge des aktuellen Clubsterbens beinahe jede Veranstaltung überlebenswichtig. Das gängige Argument von Veranstaltern gegen Festgagen im Underground: Veranstalter wissen nie, wie viele zahlende Gäste kommen. Der Veranstalter zahlt am Abend vielleicht jeweils 200 Euro Gage an drei verschiedene Bands. Dann muss er - wenn man die Erlöse des Ausschanks zunächst mal ausklammert - bei einem Ticketpreis von 7 € schon 86 zahlende Gäste in seinen Club bringen, um die Gage für die Musiker zu decken. Personal und andere Kosten sind noch nicht berücksichtigt. Musiker hingegen haben fast immer den Anspruch, zumindest einen Teil ihres Lebensunterhaltes mit Musik zu verdienen. Sie brauchen eine faire, angemessene Gage. Auf welcher Grundlage können Musiker eine gute Gage verdienen? Welches Gagenmodell ist fair? Eine Spurensuche mit Künstlern der IMG STAGELINE-Familie.

Doordeal: Ist der Gagen-Klassiker fair?

Der Doordeal klingt fair: Die Band bekommt alle oder einen Teil der Einnahmen „von der Tür“, also vom Eintritt. So hängt die Gage davon ab, wie viele Gäste kommen. Das gängige Verhältnis ist 70/30: 70 % der Tür-Einnahmen für die Band, 30 % für den Veranstalter oder Club. Der Club selbst finanziert sich durch den Ausschank.

Das Problem: Ein Doordeal verlagert einen Teil der Promo-Verantwortung für den Gig auf die Schultern der Musiker.

Selbst wenn Bands es okay fänden, Promo-Beauftragte für die Clubs zu sein: Eine aus Stuttgart angereiste Underground-Band hat keinen Einfluss auf die Gästezahl der Lila Eule in Bremen. Im schlimmsten Fall können Bands von einem Doordeal nicht einmal das Benzin für die Anfahrt bezahlen. Andererseits gibt es Bands, die bewusst für Konzerte draufzahlen, weil sie so bekannter werden.

Pay2Play: Der Szene-Aufreger

Musiker und Veranstalter diskutieren seit Jahren leidenschaftlich über Pay2Play. Entweder Bands kaufen sich für einen Festbetrag in einen Konzertabend oder eine ganze Tour ein. Oder sie kaufen dem Veranstalter Tickets ab und müssen zusehen, diese selbst zu verkaufen („Mindestticketabnahme“). Wir haben Sebastian Dracu nach seiner Meinung gefragt.

Es gibt mehrere Ausprägungen von Pay2Play, die alle eines gemeinsam haben: Bands zahlen dafür, auftreten zu dürfen.

 
„Bevor ihr euch auf Pay2Play einlasst, fragt euch: Ist das in unserem Sinne?“, Sebastian Dracu

"Ich persönlich verachte Pay2Play. Wenn eine Band der Meinung ist, sie will das als Strategie nutzen, um bekannter zu werden: bitte schön. Die zahlen dann 10.000 Euro, um bei einer größeren Band auf der Tour als Opener zu spielen. Aber die Fragen, die sich jeder Musiker vorher stellen sollte, sind doch: Wer bin ich, was mache ich, was will ich? Die Antwort: Ich verrichte kreative Arbeit, ich nutze meine Lebenszeit dafür und ich will mich selbst verwirklichen. Dazu gehört für mich auch, dass die ganze Sache nachhaltig ist – und ist es das, wenn ich mich in Auftritte einkaufe? Wer für seine Arbeit gar nicht bezahlt werden will, wird es in 99 % der Fälle auch nicht. Natürlich muss man „Geld reinstecken, bevor Geld raus kommt“, aber die Dimensionen von Pay2Play sind lächerlich. Selbst kleinere Clubs verlangen inzwischen für eine Show am Wochenende 300 Euro von einer Band. Wer als Veranstalter wirtschaftlich überleben will, muss sich anpassen. Und wenn das nicht klappt – und er deswegen Bands nicht bezahlen kann – sollte er kein Veranstalter sein."

Was ist Livemusik wert?

Beide Blickwinkel sind wichtig

Es gibt diese berühmte Auflistung in den sozialen Medien, die zeigt, welche Aufwände eine Band vor einem Konzert hat: Zehntausende Euro für Instrumente, PA-Anlage, Proberaummiete, Probezeit, Transportkosten zum Proberaum, Transportkosten zum Gig, Unterricht und so weiter. Und es stimmt: Eine Band ist selten wirtschaftlich. Die Frage ist aber: Ist (Live-)Musik ein Produkt wie jedes andere, das wirtschaftlich sein muss? Musiker könnten sich auf dieser Basis fragen:

Welchen Anspruch haben wir an unsere Musik und wie viel Interesse existiert an uns – und passt das zu unserer Gage? Habe ich ein gutes Gefühl dabei? Wenn ja: alles gut.

 
„Festgage ist inzwischen unser Liebling“, Tammo von LENNA:

Für uns funktionieren flexible Festgagen am besten. Der Veranstalter weiß dann aber auch genau, was er von uns bekommt: welche Songs, wie viele Songs und unser technischer Aufwand für den Gig. Unsere Festgage setzt sich aus verschiedenen Punkten zusammen. Die sind für den Veranstalter nachvollziehbar:

  • Sind wir Hauptact oder Vorband?
  • Wie weit fahren wir zum Auftrittsort und welche Kosten entstehen dadurch?
  • Wie lange nimmt der Gig unsere Zeit in Anspruch: Ist es ein ganzes Wochenende inklusive Übernachtung oder sind wir nachts wieder im Proberaum?
  • Wie lange ist das Set, ist der Probeaufwand überdurchschnittlich?
  • Ist ein Techniker vor Ort oder bringen wir unseren eigenen mit, den wir wiederum bezahlen müssen?
  • Spielen wir für einen guten Zweck oder ist es ein reguläres Konzert, bei dem Eintritt gezahlt wird?
  • Bringt der Gig uns mehr Bekanntheit?

Alternative zu Doordeal und Festgage: garantierte Kostendeckung für die anreisende Band + Prozente der Tür

Eine Haltung könnte sein:

Keine Band sollte für einen Gig draufzahlen.

Aber kein Musiker hat etwas davon, wenn Clubs keine Bands mehr bezahlen können. Interessant ist das recht unbekannte Gagenmodell der garantierten Kostendeckung für die Band plus Prozentsatz von den Einnahmen an der Tür. So muss keine Band draufzahlen. Bands zahlen vor allem Reisekosten und Übernachtung. Mit einer garantierten Kostendeckung kann der Veranstalter selbst entscheiden, von wie weit weg er Bands anreisen lässt und ob er selbst eine Übernachtungsmöglichkeit anbietet.
Der zusätzliche Doordeal ist verhandelbar – am besten auf Basis des zeitlichen und materiellen Einsatzes der Band.
Damit das funktioniert, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein:

  1. Beide Seiten sind ehrlich. Die Band muss transparent ihre Kosten angeben. Der Veranstalter muss nachvollziehbar aufzeigen, wie viel zahlende Gäste da waren.
  2. Es muss von Anfang an festgeschrieben sein, welche Leistungen die Band vom Veranstalter erhält oder selbst bedenken muss: Catering, Getränke, Equipment, tontechnische Betreuung.

Fazit: Im Underground sind Veranstalter und Musiker zwei Seiten einer Münze – und sollten Freunde sein

Musiker und Veranstalter wollen im Grunde das Gleiche: möglichst viele Gäste vor der Bühne und einen lohnenden Abend. Wenn dieses Bewusstsein da ist, können beide Seiten ein wenig transparenter zusammenarbeiten. Solange es Bands gibt, die bei Pay2Play-Modellen mitmachen, gibt es auch weiterhin Pay2Play. Vielleicht ist Augenhöhe bei der Konzertorganisation ein Mittel. So überwinden Musiker und Veranstalter den – mal größeren, mal kleineren – Graben zwischen sich.

Fotos ©The Hirsch Effekt, Christoph Eisenmenger