Ist die Clubkultur „von oben“ zu retten? UNESCO City of Music und der Status von Live-Clubs als Kulturstätten

Warum das Clubsterben die Frage aufwirft, was wir unter Kultur verstehen


Zwei Tage lang kommen Clubbetreiber, Eventmanager und Musikveranstalter in Bremen zur upStage-Konferenz zusammen. Thema in diesem Jahr: Live-Clubkultur in Deutschland und damit vor allem die Probleme, vor denen viele Live-Clubs stehen. In den Diskussionen am ersten Tag ging es vor allem um die Frage, wie Clubs besser mit Behörden und Bürokratie umgehen können – und ob Initiativen „von oben“ hilfreich sind, etwa die von der UNESCO.  Im Februar 2020 wurde diese Thema aktueller denn je, denn die Corona-Pandemie traf die Clubszene knallhart. Unterstützung „von oben“, in Form von staatlichem Geld, gab es: die Corona-Soforthilfen. Doch je länger die Krise andauert, desto klarer ist: eine oder zwei Einmalzahlungen sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Clubs müssen sich verändern.
Wir durften einer der Sponsoren der upStage-Konferenz 2019 sein und haben die Diskussion für euch verfolgt – und hier zusammengefasst.

UNESCO City of Music – ein Konzept für Clubs?

Das Panel „Hey, lasst uns Musikstadt werden“ am 24. Oktober diskutierte über das Konzept der UNESCO-Musikstadt oder der „City of Music“. Dieser Titel der UNESCO ist eine Art kulturelle Exzellenzinitiative, für die sich Städte bewerben können. Die Cities of Music können auf ein großes Partnernetzwerk aus Musik-Städten auf der ganzen Welt zurückgreifen und den Titel für das Stadtmarketing nutzen. Auch innerhalb der Stadt haben Musiker und Musikveranstalter dank dieses Titels dann ein Argument für die eigene Relevanz.

Der Titel „City of Music“ verpflichtet auch dazu, die eigene Musikszene zu pflegen. Die Frage ist aber, welche Musik die entscheidenden Menschen relevant finden.

Das Panel erklärte einführend etwas bürokratisch, was unter UNESCO City of Music zu verstehen sei: „Eine Stadt mit einer besonders hohen, abbildbaren Wertschöpfung durch Musik.“ In Deutschland gibt es ganz offiziell zwei „UNESCO Cities of Music“: Hannover und Mannheim.

Die UNESCO scheint ein Fan klassischer und traditioneller Musik zu sein

Hannover hat das UNESCO-Gütesiegel vermutlich vor allem für die dortige international berühmte Musikhochschule und das Chorzentrum – immerhin eines der modernsten der Welt – erhalten. Beide Stätten fallen unter die Kategorie E-Musik, also Ernsthafte Musik, die nur selten in Live-Clubs zu hören ist. In Mannheim dürfte, so spekuliert das Panel, das „Mannheimer Modell“ für Popförderung zum UNESCO-Gütesiegel beigetragen haben. Da geht es dann um sogenannte U-Musik, also Unterhaltungsmusik. Das ist aber die Ausnahme. Die Cities of Music auf der ganzen Welt sind eher Hochburgen der E-Musik oder Zentren musikalischer Folklore.

Das Panel diskutierte lang, ob der Titel für Bremen überhaupt infrage kommt – denn die Vergabekriterien gibt die UNESCO nicht im Detail bekannt.

Das Konzept der UNESCO City of Music hilft der Clubkultur nur, wenn sie als echte Kultur anerkannt ist

Obwohl die Wertschöpfung durch Live-Clubs (und damit durch Musik) in Städten wie Leipzig, Bremen, Hamburg und Berlin riesig ist, werden Clubs nicht als ernst zu nehmende Kulturstätten wahrgenommen. Eine lebendige Clubszene bietet der Stadt aber ganz konkrete Mehrwerte. Der offensichtlichste ist die höhere Lebensqualität, gerade für junge Menschen, Studenten und Azubis – die „High Potentials“ von morgen.

Das Panel ist sich einig: Konzepte wie die UNESCO City of Music können nur dann dem Clubsterben entgegenwirken, wenn Clubkultur als fördernswerte Kultur anerkannt wird.

Fehlt die Anerkennung als echte Kulturstätte, haben es Clubs auch gegen Behörden und Politik schwer

Wie schwer es Clubs durch die fehlende Anerkennung als Kulturgut haben, zeigt das Panel „Eine Stadt ohne Clubs ist ein Dorf“. Dort saß ein Vertreter der Bremer Stadtverwaltung – und war permanent im Rechtfertigungsmodus.

Nicht nur die Kosten für Brand- und Lärmschutz seien hoch, auch der bürokratische Aufwand sei riesig, erzählt Olli Brock, Inhaber der Bremer Kultstätten Tower und Pier 2.

Es kostet eine Kommune nicht unbedingt Geld, die Clubs zu unterstützen

Der Vertreter der Stadtverwaltung machte im Panel die (fehlenden) Spielräume für Clubs und Behörden deutlich. Lärmschutz sei gerade in den letzten Jahren zunehmender Gentrifizierung ein leidiges Thema. In den beliebten Stadtteilen haben Clubs plötzlich immer wieder mit Beschwerden von Anwohnern zu kämpfen. Damit ließe sich aber grundsätzlich umgehen. Eine Lösung des Problems könne die neue Baugebietskategorie „Kulturgebiet“ sein. Über diese Vision wird politisch aber noch gestritten. In dieser städtischen Nutzungszone dürfte es dann trotz Wohnbebauung lauter sein. Denn über eines waren und sind sich alle im Panel einig: Club und Wohnen gehören in Innenstädten zusammen.

Hilfreich wäre eine zentrale Anlauf- und Beratungsstelle für Clubbesitzer. Im Weg steht wieder einmal nur: die fehlende Anerkennung von Live-Clubs als wichtige Kulturszene einer Stadt.

Lösungsbeispiel London: Das Prinzip des Agent of Change hat dort die Clubszene gerettet

Folgendes Szenario hat es tatsächlich gegeben: Ein Investor kauft Wohnungen in einem Gebäude. Im Erdgeschoss befindet sich seit vielen Jahren ein Live-Club. Die neuen Mieter der Wohnungen über dem Club fühlen sich durch die nächtliche Musik gestört. Das Agent-of-Change-Prinzip (AoC) bedeutet: Hier für Lärmschutz zu sorgen, liegt in der Verantwortung des „Veränderers“, also des neuen Investors. Der dürfte also nicht den Club im Erdgeschoss zu Lärmschutz verpflichten, sondern muss die Wohnungen von Anfang an so sanieren, dass der Lärmschutz ausreichend ist.

Corona als Veränderungsbeschleuniger?

Halb zynisch, halb ernsthaft bezeichnen Fachleute Corona als Digitalisierungspandemie. Denn das erzwungene Home Office forciert Videokonferenzen und digitale Kooperationstools. Der Club der Corona-Zeit sieht im September 2020 mancherorts so aus: Maske, wer sich bewegt, keine Maske, wer brav sitzen bleibt und die Band anschaut, vom Tisch oder von der Bar aus. Das ist aber für viele kein sinnvolles Geschäftsmodell, da so zu wenig Gäste im Liveclub stattfinden. Funktionieren kann dieses Modell nur, wenn Gäste deutlich mehr Kosten mittragen oder die – wie wir in diesem Artikel spekulieren – sich die Organisationsform des Konzertes verändert.

Fazit: Räume und Anerkennung sind das Wichtigste

Das Panel ist sich sicher: Wenn Clubkultur nicht als Kultur anerkannt werde, helfen auch Initiativen wie „City of Music“ nicht dabei, Förderprogramme für Clubs zu gewinnen. Im Grunde ist diese Anerkennung durch Behörden und Politik der Schlüssel gegen das Clubsterben. Die Politik muss den Handlungsbedarf einsehen, die Verwaltung die Relevanz für Viertel und Stadtteile anerkennen.
Kooperationen wie der Clubverstärker Bremen und die Clubcommission Berlin helfen dabei.

Aber auch Musiker, DJs und Tontechniker sind Botschafter der Clubkultur. Denn ohne sie wären unsere Wochenenden ein wenig leiser.

Am zweiten Tag der upStage-Konferenz diskutierten die Teilnehmer vor allem über Perspektiven: Wie sieht der Club der Zukunft aus?

Fotos © Clubverstärker e.V.; Benjamin Eichler